Sind Sie gut vorbereitet?

Vom Ereignis zur Vertrauenskrise

In der Krise ist alles anders

Von Jorge Klapproth

Unglück, Krise, Notfall, Katastrophe – die abendlichen Nachrichten sind voll von schlechten Meldungen. Häufig sind es unvorhersehbare Ereignisse, die die Welt beschäftigen. Denken wir nur an die islamistischen Terroranschläge in Paris 2015 und Brüssel im März 2016, den absichtlich vom Co-Piloten herbeigeführte Absturz der Germanwings-Maschine über den französischen Alpen im März 2015, den Abschuss einer Boeing 777 der Malaysia-Airlines über der Ukraine im Juli 2014, die Hochwasser an Oder und Elbe 2013 und zahlreiche weitere von der Natur oder von Menschen verursachten Katastrophen und Notlagen.

Auch Skandale und Ereignisse um Unternehmen und Behörden, Politiker und Manager finden sich täglich in den Nachrichten. Produktrückruf, Unglück mit Todesfolgen, Verursachung von Umweltschäden, Datenmissbrauch, persönliche Fehlleistung von Führungskräften – alles Ereignisse die sich schnell zu einer veritablen Medien- und Vertrauenskrise entwickeln können – wenn nicht richtig entschlossen reagiert und kommuniziert wird.

Häufig enden sie kurze Zeit später mit dem Rücktritt von Verantwortlichen, wegen nachgesagtem oder tatsächlichem Fehlverhalten. In den Jahren 2014 – 2016 traten eine Reihe von Managern und Politikern aufgrund des öffentlichen Drucks zurück. Beispielhaft seien hier nur genannt:

  • Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes Wolfgang Niersbach, wegen des Skandals bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006.
  • ADAC-Präsident Peter Meyer und sein Kommunikationschef Michael Ramstetter, wegen gefälschter Zahlen um den Autopreis „Gelber Engel“.
  • Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich, wegen der Weitergabe von Informationen in der Edathy-Affäre an den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel.
  • VW-Chef Martin Winterkorn und der Amerika-Chef Michael Horn wegen des weltweiten VW-Abgasskandals.
  • Der Polizeipräsident von Köln Wolfgang Albers, wegen der Vorkommnisse in der Silvesternacht 2015/2016 auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln.

Dies sind nur einige prominente Beispiele. Allen Rücktritten vorangegangen war ein hohes Interesse der Print- und elektronischen Medien sowie heftige Diskussionen in den Sozialen Medien rund um die Vorgänge und Personen. Dabei wirken die Medien häufig als Katalysator von krisenhaften Entwicklungen – und manchmal auch als Auslöser.

In der Krise ist alles anders als „im Normalzustand“ – denn hier gelten besondere Regeln. Die üblichen Gesetzmäßigkeiten und Verfahren sind in Krisenzeiten außer Kraft gesetzt. Intern wie extern. Hier versagen viele Unternehmen, Behörden und Organisationen – mit oft fatalen Folgen. Häufig werden dabei die gleichen Fehler gemacht, weil hektisch, voreilig, ängstlich und unkoordiniert reagiert wird. Das führt dann dazu, dass in Jahren aufgebautes Vertrauen in Personen und Institutionen in kürzester Zeit verloren gehen kann.

Ein gutes Krisenmanagement und eine gute Vorbereitung helfen, Krisen frühzeitig zu erkennen und zu bewältigen sowie die möglichen Folgen zu minimieren. Funktionierende Informationswege, gute Krisenprävention, klare Kommunikation, klare Verantwortung und schnelle Entscheidungen sowie ein souveräner Auftritt in der Öffentlichkeit, haben sich als wichtige Bausteine für die erfolgreiche Bewältigung einer Krise gezeigt. Dabei spielen externe Interessengruppen, wie zum Beispiel die Medien, für den Verlauf von Krisensituationen eine besondere Rolle.

Die Abläufe wiederholen sich

Die medialen Abläufe in Krisensituationen wiederholen sich häufig: Am Anfang berichten alle Medien über das Ereignis. Alle Sender, die Online- und Printmedien berichten an prominenter Stelle. Die Sozialen Medien mischen kräftig mit. Hierbei findet häufig eine Wechselwirkung zwischen sozialen und klassischen Medien statt. In den Sozialen Medien wird ein Ereignis diskutiert und weil die Empörung so groß ist, greifen die klassischen Medien das Thema dankbar auf.

Umgekehrt ist es genauso. Die Diskussionen und Spekulationen um die Schuldfrage steht hierbei regelmäßig ganz oben auf der Agenda: „Wie konnte das passieren? Wer ist der Schuldige? Was wurde alles getan, um das Ereignis zu verhindern?“ Alles im Namen des öffentlichen Interesses.

Nach den ersten Meldungen beginnt rasch die Hintergrundberichterstattung zu dem Ereignis. „Wer sind die Handelnden? Gibt es Hinweise im Leben der vermeintlich Verantwortlichen, die Aufschluss auf das spätere Ereignis geben können? Hätten aufmerksame Zeitgenossen, die Behörden, Vorgesetzte oder Kollegen das Drama verhindern können?“

Nun schlägt auch die Stunde der Experten. Zuhauf treten sie in den Talkshows und Nachrichtensendungen auf und geben mehr oder weniger gehaltvolle Analysen zur Situation und zu den handelnden oder verantwortlichen Personen von sich. So hat sich im Zuge der Germanwings-Katastrophe im März 2015 der Airbus-Chef Thomas Enders darüber beklagt, dass sich viele sogenannte „Experten“ in den Medien mit unseriösen Spekulationen über die Ursachen und Folgen des Ereignisses, häufig gespickt mit Halbwissen, profilieren würden. Für die Medien sind diese Experten von hoher Bedeutung: Sie unterstreichen gegenüber den Zuschauern den seriösen Anstrich der Berichterstattung auf der Suche nach der Wahrheit. Die Fachleute selbst festigen damit ihren Expertenstatus in der Öffentlichkeit.

Auch die Stunde der Behörden und der Justiz hat geschlagen: Parallel zur medialen Aufbereitung, beginnt die juristische Aufarbeitung. „Wo liegt die Ursache für das Ereignis? Ist jemandem eine persönliche Schuld anzulasten? Haben die handelnden Personen alles richtig gemacht? Hätte anders gehandelt werden können oder müssen? Wie hoch ist der entstandene Schaden?“ Auch hierüber berichten die Medien in den Aufmachern an prominenter Stelle.

Alle machen mit

Die Medien sind unersättlich und ständig auf der Suche nach Themen. Aus diesem Grunde finden sich Unglücke und Notfallsituationen sehr schnell im Blickpunkt der Medien und der Öffentlichkeit. Durch die elektronischen Medien, Radio und Fernsehen sowie die digitalen Medien im Internet, erfährt die Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit rund um den Globus von dem Ereignis. Das setzt auch die Medienmacher unter Druck. Denn sie müssen liefern. Es ist ein Wettlauf um die Zeit. Wer berichtet als erster von neuen Erkenntnissen? Manchmal sind die Medien sogar schneller am Ort des Geschehens, als die ersten Rettungs- und Einsatzkräfte und berichten, zunächst häufig ohne Hintergrundinformationen, über die ersten Eindrücke. Alles im Kampf um die Quote. Diese Bilder gehen in minutenschnelle um die ganze Welt. Bilder, die sich verkaufen lassen. Davon lebt eine ganze Branche.

Die Nachrichten sind tagelang voll von dem Geschehenen. Schlagzeilen, Talkshows, Sondersendungen, Hintergrundberichterstattung und viel Spekulation. Das Schicksal der Opfer des großen Medieninteresses rückt hierbei häufig in den Hintergrund. Ihr Leid wird dadurch häufig noch viel größer. So geschehen nach dem Absturz der Germanwings-Maschine. Vielfach wurde in den Sozialen Medien und von Opferverbänden der mediale unsensible Umgang mit den Hinterbliebenen der Opfer beklagt. Doch alle machen mit.

Sie müssen es tun. Denn wenn sie nicht an prominenter Stelle von dem Ereignis und seinen Betroffenen berichten, binden andere die Leser, Hörer und Zuschauer. In Krisensituationen wird der Kampf um die Quoten besonders deutlich: „Wenn Du nicht mitmachst, so gehst Du unter!“ scheint die Devise zu sein. Entsprechend aggressiv, mitunter vorschnell, oberflächlich und häufig spekulativ verhalten sich viele Redaktionen. Viele Nutzer Sozialer Medien machen mit und setzen ihrerseits die Medienmacher unter Druck: Der Kampf um die Quote ist in vollem Gange!

Der mediale Druck auf die handelnden Personen und Institutionen wird immens in die Höhe geschraubt, frei nach dem Motto: „Die Sau wird so lange durch das Dorf getrieben, bis sich irgendwo eine andere auftut!“ Nur wenn während der Berichterstattung ein neues Ereignis eintritt, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht, verlagert sich die Berichterstattung schnell zum neuen Medienmittelpunkt und das „alte“ Geschehnis gerät in den medialen Hintergrund. Irgendwann finden sich dann nach Wochen nur noch Randnotizen in den Medien, bis die aktuellen Tagesberichte die ehemaligen Hauptnachrichten vollends verdrängt haben.

Wenn die Justiz das Ereignis nach Monaten oder Jahren das aufarbeitet, so finden sich die handelnden Verantwortlichen erneut in der Berichterstattung wieder. Und das Medieninteresse an dem Ereignis wächst wieder an, allerdings nicht in dem Ausmaß des ursprünglichen Unglücks.

Frühzeitige Kommunikation in der Krisensituation

Dem Interesse der Öffentlichkeit in Gestalt der Medienvertreter, der Heerscharen von Reportern und Kameraleuten, kann sich niemand entziehen. Nicht die zu Hilfe geeilten Einsatzkräfte – die Feuerwehrleute, die Sanitäter, die Polizeibeamten –, nicht die unmittelbar Betroffenen, die Anwohner und Zeugen, nicht die verantwortlichen Aufsichtsbehörden. Auch die Betreiber von zu Schaden gekommenen Einrichtungen – die Luftfahrtgesellschaft, die Bahn oder das Chemieunternehmen – können sich dem Mediendruck nicht entziehen. Alle sollen sofort etwas zum Unglück sagen. Das Bedürfnis nach ersten Informationen und Einschätzungen zur Lage – seien sie auch noch so undifferenziert – ist unersättlich.

Aus diesem Grunde schlägt die gewaltige Medienpower, gerade zu Beginn eines Ereignisses, so unbarmherzig zu. „Nothing sells better than pictures“ – Nichts verkauft sich besser als die ersten Bilder vom Unglück. Das ist Fakt und den Medien nicht vorzuwerfen. Denn die Öffentlichkeit giert nach diesen Bildern. Die Journalisten machen nur ihren Job.

Wenn die betroffene Organisation nicht sofort nach Auftreten des Ereignisses sprechbereit ist, bietet sie viel Raum für Spekulationen. Und das ist der Nährboden für Gerüchte, ungerechtfertigte Schuldzuweisungen und Verdächtigungen. „Schuldig bis zum Beweis des Gegenteils“ – diese Umkehrung des in jedem Rechtsstaat vorherrschenden juristischen Grundsatzes, wonach jeder für unschuldig zu gelten hat, bis ihm eine Schuld oder ein Versagen nachzuweisen ist, findet sich häufig in der Medienberichterstattung bis zur endgültigen Aufklärung des Sachverhaltes. Dies gilt umso mehr, wenn die Verantwortlichen mauern und keine Informationen oder den Hinweis „Kein Kommentar“ an die Presse geben.

Winston Churchill, der berühmte englische Premierminister während des Zweiten Weltkrieges, soll einmal gesagt haben:

 Wartende Journalisten sind gefährlich.

Lange wartende Journalisten sind doppelt gefährlich.

Am gefährlichsten aber sind vergeblich wartende Journalisten,

die untereinander Informationen austauschen.

(Winston Churchill ca. 1936)

Wenn Fakten fehlen, bilden sich schnell Gerüchte und Spekulationen, denen man als Betroffener nur mit zeitnaher Information entgegentreten kann. Das gilt intern gegenüber den eigenen Mitarbeitern, genau wie für die Öffentlichkeit.

Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass das betroffene Unternehmen oder die Organisation innerhalb weniger Minuten nach einem Schadensereignis bereits sprechbereit ist. Sie muss Offenheit und Transparenz gegenüber den klassischen Medien, die Dialogbereitschaft in den Sozialen Medien sowie die vorbehaltlose Zusammenarbeit mit den ermittelnden Behörden signalisieren. Ansonsten könnte einem das Ereignis „um die Ohren fliegen“, mit gravierenden Folgen für die Betroffenen. Aus diesem Grunde ist die Krisenkommunikation ein wesentlicher Baustein des Krisenmanagements.

Krisenkommunikation beginnt

Es kommt nicht darauf an was passiert ist, sondern wie man als Unternehmen, Behörde oder Organisation damit umgeht. Die Menschen akzeptieren Unglücke – sie akzeptieren aber nicht, wenn ein Unternehmen, eine Behörde oder eine Organisation versucht, das Geschehnis klein zu reden, zu vertuschen oder mit dem Finger auf andere zu zeigen. Offenheit und Transparenz sind in dieser Situation angesagt. Es kommt darauf an zu zeigen, dass die betroffene Institution die Lage erkannt hat und reagiert. Sich um Betroffene kümmert, sich um Aufklärung bemüht, die Behörden unterstützt, die eigenen Sicherheitskonzepte überprüft und gegebenenfalls anpasst sowie dafür sorgt, dass sich ähnliche Vorfälle nach Möglichkeit im Rahmen menschlichen Ermessens nicht wiederholen können. Das schafft Vertrauen.

Denn das ist das Ziel von jedem Krisenmanagement und jeder Krisenkommunikation: Neben der operativen Bewältigung des eigentlichen Ereignisses, einen Vertrauensverlust bei den Stakeholdern und in der Öffentlichkeit zu vermeiden oder verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Ansonsten läuft man Gefahr, dass das möglicherweise jahrelang aufgebaute positive Image des Unternehmens, der Behörde oder der Organisation in wenigen Tagen nachhaltig belastet oder zerstört wird.

So ist es dem Volkswagen-Konzern innerhalb weniger Tage im September 2015 ergangen, nachdem die Manipulationsvorwürfe wegen der Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen bekannt wurden.

Unzureichendes Krisenmanagement führt häufig nach der eigentlichen Primär-Krise in die weitaus größere Krise – die Vertrauenskrise, mit unabsehbaren Folgen für das betroffene Unternehmen oder die Organisation. Dem gilt es mit einem klugen Krisenmanagement in den Bereichen Prävention, Organisation, Kommunikation und Evaluation entgegenzuwirken.

Sind Sie gut vorbereitet?

 

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Jorge Klapproth, Jahrgang 1961, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Er ist Kommunikationsberater, Medientrainer und Executive Coach für Unternehmen, Behörden und Organisationen. Er berät und trainiert Führungskräfte und Kommunikationsverantwortliche in den Bereichen Krisenmanagement, Krisenkommunikation und Strategische Kommunikation.

Jorge Klapproth ist Inhaber des Seminarhauses CMC Kommunikation + Medien und Partner des Beratungshauses Klapproth & Röhrl Krisenmanagement. Als Medientrainer hat er sich auf die Vorbereitung von Führungskräften auf den professionellen Auftritt in TV, Radio und vor Publikum spezialisiert. Er ist als Reserveoffizier in der Katastrophenhilfe und in der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit eingesetzt. In dieser Funktion ist er Leiter der Informationsarbeit im Landeskommando Nordrhein-Westfalen und Sprecher der Bundeswehr im Bundesland.

Seine erste Buchveröffentlichung „Wirkungsvolle Kommunikation als Erfolgsfaktor für Führungskräfte“ ist in deutscher und englischer Sprache im BoD-Verlag erschienen. Sein neues Buch „Der Tag X – Vorbereitung auf den Ernstfall, Handbuch für Krisenmanagement und Krisenkommunikation“ erscheint im Mai 2016 im deutschsprachigen Buchhandel.

Internet: www.conmediacom.de und www.klapproth-roehrl.de

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