Wie die Medien sich auf krisenhafte Ereignisse stürzen.
Von Jorge Klapproth.
Der dramatische Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine über den französischen Alpen und die damit verbundene Berichterstattung zeigt deutlich: Sobald ein Unglück eintritt, stürzen sich alle darauf. Die Fernsehstationen, Radiosender, Zeitungen, Zeitschriften und natürlich auch die digitalen und sozialen Medien. Die Meldungen überschlagen sich nach Bekanntwerden des Ereignisses. Das Informationsbedürfnis der Medien und der Öffentlichkeit ist immens. Der Druck auf die handelnden Personen und Institutionen sowie auf die Hinterbliebenen bei Katastrophen mit tödlichem Ausgang wird riesengroß. Wenn die Medien eine „Zielperson“ des Interesses ausgemacht haben, gibt es kein Entrinnen. Manch einer zerbricht daran. Physisch, wie psychisch. Die Möglichkeiten für die Opfer dieses großen Medieninteresses sind: Sich dem Druck stellen und ihn aushalten oder die Flucht. Das kann im zweiten Fall sogar bis zur physisch endgültigen Flucht gehen – dem freiwilligen Tod. Beispiele von Wirtschaftsführern, Bankern, Politikern oder Personen des öffentlichen Lebens, z.B. bekannten Sportlern, belegen dies auf schreckliche Weise.
Die Abläufe wiederholen sich
Die medialen Abläufe in Krisensituationen wiederholen sich: Am Anfang berichten alle Medien über das Ereignis. Alle Sender, die Online- und Printmedien berichten an prominenter Stelle. Die sozialen Medien mischen kräftig mit. Die Diskussionen und Spekulationen um die Schuldfrage steht hierbei regelmäßig ganz oben auf der Agenda: „Wie konnte das passieren? Wer ist der Schuldige? Was wurde alles getan, um das Ereignis zu verhindern?“ Alles im Namen des öffentlichen Interesses.
Nach den ersten Meldungen beginnt schnell die Hintergrundberichterstattung zu den Folgen des Unglücks. „Wer sind die Handelnden? Gibt es Hinweise im Leben der vermeintlich Verantwortlichen, die Aufschluss auf das spätere Ereignis geben können? Hätten aufmerksame Zeitgenossen, Vorgesetzte, Kollegen oder Ärzte das Drama verhindern können?“ Nun schlägt auch die Stunde der Experten. Zu hauf treten sie in den Medien auf und geben mehr oder weniger gehaltvolle Analysen zur Situation und zu den handelnden oder verantwortlichen Personen von sich. Für die Medien sind diese Experten von hoher Bedeutung: Sie unterstreichen den seriösen Anstrich der Berichterstattung auf der Suche nach der Wahrheit. Die Fachleute selbst festigen damit ihren Expertenstatus in der Öffentlichkeit.
Auch die Stunde der Behörden und der Justiz hat geschlagen: Parallel zur medialen Aufbereitung, beginnt die juristische Aufarbeitung. „Wo liegt die Ursache für das Unglück? Ist jemandem eine persönliche Schuld anzulasten? Haben die handelnden Personen alles richtig gemacht? Hätte anders gehandelt werden können? Wie hoch ist der entstandene Schaden?“ Auch hierüber berichten die Medien in den Aufmachern.
Alle machen mit
Die Nachrichten sind tagelang voll von dem Geschehenen. Schlagzeilen, Talkshows, Sondersendungen, Hintergrundberichterstattung und viel Spekulation. Das Schicksal der Opfer des großen Medieninteresses rückt hierbei häufig in den Hintergrund. Alle machen mit. Sie müssen es tun. Denn wenn sie nicht an prominenter Stelle von dem Ereignis berichten, binden andere die Leser, Hörer und Zuschauer. In Krisensituationen wird der Kampf um die Quoten besonders deutlich: „Wenn Du nicht mitmachst, so gehst Du unter!“ scheint die Devise zu sein. Entsprechend aggressiv, mitunter vorschnell, oberflächlich und häufig spekulativ, verhalten sich viele Redaktionen. Die sozialen Medien machen mit und setzen ihrerseits die Medienmacher unter Druck: Die Öffentlichkeit giert nach Sensationsnachrichten!
Der mediale Druck auf die handelnden Personen und Institutionen wird immens in die Höhe geschraubt: „Die Sau wird so lange durch das Dorf getrieben, bis sich irgendwo eine andere auftut!“ Nur wenn während der Berichterstattung ein neues Ereignis eintritt, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht, verlagert sich die Berichterstattung schnell zum neuen Medienmittelpunkt und das „alte“ Geschehnis gerät in den medialen Hintergrund. Irgendwann finden sich dann nach Wochen nur noch Randnotizen in den Medien, bis das aktuelle Tagesgeschehen die ehemaligen Hauptnachrichten vollends verdrängt haben.
Wenn die Justiz nach Monaten oder Jahren das Ereignis aufarbeitet, so finden sich das Geschehen und die handelnden Verantwortlichen erneut in der Berichterstattung wieder. Und das Medieninteresse an dem Ereignis wächst wieder an, allerdings nicht in dem Ausmaß des ursprünglichen Unglücks.
Die Medien sind unersättlich und ständig auf der Suche nach Themen. Aus diesem Grunde finden sich Unglücke und Notfallsituationen sehr schnell im Blickpunkt der Medien und der Öffentlichkeit. Durch die elektronischen Medien, Radio und Fernsehen sowie die digitalen Medien im Internet, erfährt die Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit rund um den Globus von dem Ereignis. Das setzt auch die Medienmacher unter Druck. Denn sie müssen liefern. Es ist ein Wettlauf um die Zeit. Wer berichtet als erster von neuen Erkenntnissen? Manchmal sind die Medien sogar schneller am Ort des Geschehens, als die ersten Rettungs- und Einsatzkräfte und berichten – zunächst häufig ohne Hintergrundinformationen – über die ersten Eindrücke. Alles im Kampf um die Quote.