Schuldig bis zum Beweis des Gegenteils! – Wenn die Krise hausgemacht ist

Wie geht man mit der persönlichen Fehlleistung von Führungskräften um und kommuniziert diese?

von Jorge Klapproth

Das Fehlverhalten von Führungskräften, erst Recht von Spitzen-Managern, kann für eine Organisation zu einer großen Belastung werden. Viele Beispiele der vergangenen Jahre zeigen uns, dass das Interesse der Öffentlichkeit immens ist, wenn persönliche Fehlleistungen von Führungskräften bekannt werden. Das kann die Reputation eines Unternehmens, einer Behörde oder einer Organisation nachhaltig schädigen. Wie geht man damit um, wenn sich in den eigenen Reihen ein Desaster ankündigt und zu einer hausgemachten Krise zu werden droht?

Dimensionen einer Krise

Anlässe für Krisen gibt es genauso viele, wie Strategien zu ihrer Bewältigung. Verursachung von Umweltschäden, Produktionsausfall, Produktrückruf, Betriebsunfall, Datendiebstahl – die Ereignisse kommen meistens plötzlich und unerwartet. Das liegt in der Natur von Krisen. Und es kann jeden treffen: Die Größe einer Organisation spielt dabei keine Rolle. Nun ist gutes Krisenmanagement gefragt, um die Notfallsituation zu meistern und eine nachhaltige Schädigung der eigenen Reputation zu verhindern. Doch wie stellt man das an?

In der Krise gelten besondere Regeln. Die üblichen Gesetzmäßigkeiten und Verfahren sind außer Kraft gesetzt. Intern wie extern. In einer Krisenlage befindet man sich in einem „Sonderzustand“, der mit Hilfe von geeignetem Krisenmanagement wieder in den „Normalzustand“ gebracht werden soll. Entsprechend muss die betroffene Organisation auch auf den „Krisenmodus“ umstellen und (vorher vorbereitete und im optimalen Fall geübte) Strukturen und Verfahren zur Bewältigung der Krisenlage einnehmen.  Das bedeutet zuallererst das Anerkenntnis, das man sich in einer Krise befindet. Denn ohne dieses Anerkenntnis wird die Lage häufig unterschätzt und notwendige Maßnahmen werden nicht hinreichend oder nur halbherzig durchgeführt.

Doch in Krisenzeiten versagen viele Unternehmen, Behörden und Organisationen, mit oft fatalen Folgen. Häufig werden dabei die gleichen Fehler gemacht, weil hektisch, voreilig, ängstlich und unkoordiniert reagiert und falsch oder gar nicht kommuniziert wird. Das führt dazu, dass in Jahren aufgebautes Vertrauen in kürzester Zeit verloren gehen kann. Prominente Beispiele in jüngster Zeit zeigen das: Der VW-Abgasskandal, die ADAC-Vertrauenskrise oder der DFB-Skandal um die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2006. Sie alle leiden unter hohem Reputationsverlust als Folge der Krisen. Es gibt kein genaues Rezept um eine Krise zu bewältigen. Aber die Krise folgt vorhersehbaren Mustern. Und darauf kann man sich einstellen.

Jede Krise spielt sich in verschiedenen Dimensionen ab:

  • Das eigentliche Ereignis (Primärereignis)
  • Das Handeln der Verantwortlichen
  • Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit

Entscheidende Größen sind, dass die Krise eine für den Bestand oder den Ruf der Organisation existenziell bedrohliche, unkontrollierbare Situation mit ungewissem Ausgang ist und in aller Regel besondere Maßnahmen zur Bewältigung verlangt. Häufig tritt sie, je nach Handeln der Verantwortlichen, erst als Folge eines Ereignisses auf. Dazu kommt meistens ein erhebliches öffentliches Interesse, dass durch ein entsprechendes Medienaufkommen dokumentiert wird.

Kommunikation als wichtiges Element des Krisenmanagements

Die Kommunikation in einer Krise hat als wichtiges Element des Krisenmanagements eine zentrale Bedeutung. Mit ihrer Hilfe kann man Spekulationen und Gerüchten vorbeugen und zur Vertrauensbildung beitragen. Unabhängig von den Ursachen einer Krise sind deshalb schonungslose Offenheit, Kooperationsbereitschaft mit Behörden, entschlossenes Handeln und der Wille mit den Folgen eines Ereignisses konstruktiv umzugehen, vertrauensbildende Bausteine für ein erfolgreiches Krisenmanagement. In den Augen der Öffentlichkeit und vieler Medien gilt nach Eintreten eines Krisenfalls häufig das Vorurteil: „Schuldig bis zum Beweis des Gegenteils!“ Dem kann man als betroffene Organisation nur mit möglichst früher, transparenter und glaubwürdiger Kommunikation entgegenwirken.

An dieser Stelle spielt es nun eine große Rolle, ob Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Führungskräften die Ursache für das Primärereignis war oder ob beispielsweise ein Unglück nicht vorhersehbar und damit nicht vermeidbar war. Von entscheidender Bedeutung für die Wahrnehmung bei den eigenen Stakeholdern und in der Öffentlichkeit ist der Umgang mit eigenem Fehlverhalten, dass zu der Krisensituation führte. Die Menschen akzeptieren Unglücke und Fehler – sie akzeptieren aber nicht, wenn ein Unternehmen, eine Behörde oder eine Organisation versucht, das Geschehnis klein zu reden, zu vertuschen oder mit dem Finger auf andere zu zeigen. Denn dieses Verhalten in einer Krise rächt sich bitter.

Der Kampf um das Vertrauen

Zu Beginn des Jahres 2014 sah sich der ADAC, mit etwa 19 Millionen Mitgliedern weltweit größter Automobilclub, plötzlich Manipulationsvorwürfen zur Preisvergabe „Gelber Engel“ an die Automobilindustrie ausgesetzt. Zunächst einmal wurden die von der „Süddeutschen Zeitung“ erhobenen Vorwürfe vehement abgestritten und der ADAC sprach von „Unterstellungen und Unwahrheiten“. Diese vorschnelle Reaktion hat die verantwortliche Geschäftsführung und das Präsidium ebenso schnell eingeholt. Keine drei Tage später gesteht der ADAC-Kommunikationschef die Manipulationen und räumt seinen Stuhl. Doch jetzt fing die Hexenjagd erst richtig an. Das Vertrauen vieler Mitglieder und der Öffentlichkeit in den Club war dahin. Viele weitere Vorwürfe folgten. Eine beispiellose Vertrauenskampagne, der Umbau der Strukturen des Automobilclubs und eine Reihe weiterer Rücktritte, bis hin zum Präsidium, waren nötig, um die eigene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

Auch der VW-Konzern hat mit erheblichen Vertrauensverlusten im Zuge des Diesel-Abgasskandals zu kämpfen. Am 18. September 2015 erschütterte eine Nachricht aus den Vereinigten Staaten von Amerika die Grundfesten des größten deutschen Automobilbauers Volkswagen. Die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) gibt bekannt, dass dem Autokonzern vorgeworfen wird, in Diesel-Fahrzeugen eine illegale Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung zu verwenden, um die US-amerikanischen Abgasnormen zu umgehen. Gleichzeitig wird eine Rekord-Geldstrafe in Höhe von etwa 18 Milliarden US-Dollar angedroht. Es folgt die schwerste Unternehmenskrise in der Geschichte des Konzerns. Allein in den USA waren etwa 580.000 Fahrzeuge betroffen. Das kommunikative Verhalten der Konzernspitze hat die Lage noch verschlimmert.

„Der VW-Vorstand verschwieg die Manipulation.“ [1] Dies titelte die Tagesschau auf ihrer Internetseite Anfang März 2016 unter Berufung auf Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Demnach glaubte der Konzern-Vorstand, vor Bekanntwerden der Vorwürfe, mit den US-Behörden eine Strafzahlung von maximal 100 Millionen Dollar aushandeln zu können und habe die Manipulationen deswegen bewusst verschwiegen.

Dieses Verhalten fiel dem Konzern mit der Veröffentlichung der Vorwürfe und der Androhung der hohen Strafzahlung auf die Füße. Bereits spätestens August 2015 hat der Autobauer-Vorstand nach übereinstimmenden Medienberichten vom Einsatz der illegalen Motorsoftware zur Umgehung der strengen US-Abgaswerte gewusst. Aber Öffentlichkeit und Aktionäre wurden nicht informiert. Die Relevanz dieser Information für die Aktienkurse wurde offensichtlich nicht erkannt oder ignoriert. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein.

VW wurde überrascht und eiskalt erwischt. Nur drei Tage später gab der Konzern die Manipulationen auch öffentlich zu. Vor allem in Nordamerika, wo VW gegen Umweltgesetze verstoßen hat, ist viel Vertrauen verloren gegangen. Nach anfänglichem Zögern und viel innerem und äußerem Druck, ist der Konzernchef Martin Winterkorn von seinem Posten zurückgetreten. Der angerichtete Image-Schaden durch mangelnde und mangelhafte Kommunikation ist geblieben.

Fazit

Die Beispiele zeigen auf, wie wichtig eine offene und vertrauensbildende Kommunikation für eine in der Krise befindliche Organisation ist. In beiden Fällen hat ein kurzfristiger Rücktritt von Verantwortlichen nicht die gewünschte Entlastung für die Organisation gebracht. Denn häufig wird von der Öffentlichkeit und den Medien, vor allem auch in den Sozialen Netzwerken, ein strukturelles „Organisationsversagen“ vermutet. Und die Entlassung oder der „freiwillige Rücktritt“ des betroffenen Managers eher als Bauernopfer.

Gerade, wenn es sich um Verfehlungen eigener Mitarbeiter in Führungspositionen handelt, muss, um Reputationsverlust zu vermeiden, die Kommunikation nach außen, wie nach innen intensiv und vorbehaltlos betrieben werden. Nur so kann verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden.

Für die betroffenen Organisationen gibt es im Grunde nur zwei Handlungsoptionen, wenn das Fehlverhalten von Führungskräften öffentlich wird: Entweder an der Führungskraft festhalten, sich solidarisch zeigen und ihr den Rücken stärken oder sich von ihr trennen. Das Letztere wird häufig im sogenannten „Gegenseitigem Einvernehmen“ als Rücktritt von der Aufgabe und „freiwilligem“ Austritt aus der Organisation durchgeführt. Häufig erklärt der Betroffene bis zu einer möglichen gerichtlichen Klärung von Vorwürfen seinen „freiwilligen“ Rücktritt „um Belastungen“ von der Organisation fernzuhalten und sein Gesicht zu wahren.

Für die Kommunikation bedeutet die Bekanntgabe einer „personellen Veränderung“ in einer Spitzenposition in der Tat eine Entlastung für ein möglicherweise belastetes Image und zeigt initiatives Handeln und den Willen zur Veränderung. Voraussetzung ist allerdings, dass die Öffentlichkeit und die Stakeholder das Gefühl haben, dass die betroffene Organisation ernsthafte Anstrengungen unternimmt, um ähnliche Vorfälle in der Zukunft zu vermeiden und eine gewisse Reue an den Tag legt. Denn häufig gilt: „Es kommt nicht darauf an, was passiert, sondern wie man damit umgeht.“

 

Checkliste Krisenkommunikation

’       Gibt es eine Krisenkommunikationsstrategie?

’       Wer ist „das Gesicht der Krise“ und spricht zu den Medien?

’       Welche Kommunikationskanäle sollen bedient werden?

’       In welchen Abständen soll informiert werden?

’       Gibt es allgemeine Sprachregelungen?

’       Werden die eigenen Mitarbeiter vor der externen Öffentlichkeit informiert?

’       Sind Kernbotschaften für antizipierte Szenarien vorbereitet?

’       Sind allgemeine und themenspezifische Statements vorbereitet?

’       Gibt es einen Fragen- und Antwortenkatalog (Q & A) für bestimmte Szenarien?

’       Wer bedient die Sozialen Medien?

’       Ist ein Medien-Monitoring sichergestellt?

’       Ist eine Dark-Site vorgesehen?

’       Ist eine Telefon-Hotline vorgesehen?

’       Wann und wo kann eine Pressekonferenz abgehalten werden?

’       Wer übernimmt die Kommunikation mit Behörden und der Gefahrenabwehr?

’       Wer übernimmt die Kommunikation mit der Politik?

Der Autor

Jorge Klapproth ist Kommunikationsberater, Medientrainer und Executive Coach für Unternehmen, Behörden und Organisationen. Er berät und trainiert Führungskräfte und Kommunikationsverantwortliche in den Bereichen Krisenmanagement, Krisenkommunikation und Strategische Kommunikation. Als Buchautor ist sein aktuelles Werk „Der Tag X – Vorbereitung auf den Ernstfall, Handbuch für Krisenmanagement und Krisenkommunikation“ seit Mai 2016 im Buchhandel erhältlich.

Der Artikel ist in gekürzter Fassung erschienen im Magazin „pressesprecher“ Ausgabe Oktober 2016

 

Kontakt:

jk@conmediacom.de

Net:

www.jorge-klapproth.de

Blog:

Wp.conmediacom.de

 

[1] Tagesschau.de am 06.03.2016

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